Wanderausstellung im St. Rochus-Hospital Telgte
Am 12. März 2025 wurde die Wanderausstellung „Finding Ivy. Ein lebenswertes Leben“
des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim (AT) feierlich im St. Rochus-Hospital Telgte eröffnet. Bis zum 09. April 2025 luden die Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik gemeinsam mit dem Verein Erinnerung und Mahnung Telgte e.V. alle interessierten Bürgerinnen und Bürger ein, die Ausstellung im Foyer vor der Krankenhauskirche zu besuchen und sich mit dem Schicksal von in Großbritannien geborenen Menschen auseinanderzusetzen, die während der nationalsozialistischen „Aktion T4“ ermordet wurden. Auf beunruhigende Darstellungen wird in der Ausstellung bewusst verzichtet. Vielmehr werden die individuellen Lebensgeschichten der zu Opfern gemachten Menschen beleuchtet – unter anderem auch die von Gladys Strauss, einer jungen jüdischen Frau, die mehr als zwei Jahre lang wegen einer Schizophrenie im St. Rochus-Hospital behandelt wurde.

v. l. Wolfgang Pieper (Bürgermeister), Prof. Dr. Mathias Rothermund (Ärztlicher Direktor SRT), Dr. Barbara Elkeles (Verein Erinnerung und Mahnung), Peter van Elst (Seelsorger SRT, Matthias Schulte (Pflegedirektor SRT), Daniel Frese (Geschäftsführer SRT)
Eröffnung mit geladenen Gästen
Zur Eröffnungsveranstaltung in der Kirche des St. Rochus-Hospitals kamen neben Mitarbeitenden, Patientinnen und Patienten sowie Nachbarinnen und Nachbarn der Klinik auch geladene Gäste aus Politik, Kirche und Gesundheitswesen. Unter ihnen befand sich auch Bürgermeister Wolfgang Pieper.
Der Ärztliche Direktor des St. Rochus-Hospitals, Prof. Dr. Matthias Rothermundt, verband in seiner Begrüßung den medizinischen Auftrag des Hauses mit der historischen Verantwortung: Er erinnerte daran, dass ein Krankenhaus „nicht nur ein Ort des Heilens – sondern auch ein Ort der Verantwortung“ sei und betonte die Wichtigkeit, „an das Leid zu erinnern, das an Menschen wie Gladys Strauss verübt wurde.“ „Nur so“, fügte er hinzu, „lernen wir wirklich aus der Vergangenheit und bleiben wachsam im Umgang mit den verletzlichsten Mitgliedern unserer Gesellschaft.“

Blick in die Ausstellung, links die Tafel für Gladys Strauss

Das Ensemble Saxibylla (Maria Sibylla Merian Gymnasium) bei der Eröffnungsfeier
Historische Forschung als Brücke zur Gegenwart
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand der Vortrag von Dr. Barbara Elkeles, Vorsitzende des Vereins Erinnerung und Mahnung Telgte e.V. und Teil des internationalen Forschungsteams, das die Ausstellung entwickelte. Sie schilderte, wie „interdisziplinäre Detektivarbeit“ nötig war, um die Schicksale der dreizehn britischen Opfer der „Aktion T4“ zu rekonstruieren. Archivmaterial aus drei Ländern sowie persönliche Zeugnisse von Angehörigen haben es ermöglicht, jenen Menschen ihre Geschichte zurückzugeben. „Ihre Schicksale zeigen“, so Dr. Barbara Elkeles weiter, „wie schnell Ausgrenzung und Diskriminierung das Leben eines Menschen systematisch verändern und schließlich zerstören kann.“
Besondere emotionale Resonanz rief die von ihr recherchierte und für die Ausstellung aufbereitete Lebensgeschichte von Gladys Strauss hervor, die seit Mai 1938 im St. Rochus-Hospital behandelt wurde und im September 1940 auf Anordnung der NS-Behörden deportiert und am 29. September 1940 in einer Tötungsanstalt ermordet wurde.
Eine Ausstellung mit aktueller Bedeutung
Anschließend lenkte Peter van Elst, Seelsorger des St. Rochus-Hospitals, den Blick auf die Verantwortung der Gegenwart. Die gezeigten Schicksale seien ein Spiegel, vor dem man sich fragen müsse, „wie wir heute mit Menschen umgehen, die als schwach oder nicht leistungsfähig gelten.“ Anschließend lud er die Gäste ein, sich die Ausstellung im Foyer vor der Kirche anzusehen und miteinander ins Gespräch zu kommen.
Den feierlichen Rahmen der Eröffnung vervollständigte die musikalische Begleitung durch das Saxophon-Quartett „Saxibylla“ vom Jugendblasorchester des Maria-Sibylla-Merian-Gymnasiums Telgte.
Daniel Freese, Geschäftsführer des St. Rochus-Hospitals, hob im Anschluss an die feierliche Eröffnung hervor, dass dieser Ausstellungsort bewusst gewählt sei: Ein Krankenhaus sei „sowohl ein Ort der Medizin als auch ein Ort der Menschlichkeit.“ Deshalb werde die Vergangenheit hier aktiv aufgearbeitet, „damit sich jeder Mensch in seiner Würde geschützt weiß“ – gerade in einer Einrichtung, die sich psychisch erkrankten Menschen widmet.

Besucher der Eröffnungsfeier, im Hintergrund die Ausstellung
Besuch der Ausstellung
Sowohl die Verantwortlichen des St. Rochus-Hospitals als auch die Kooperationspartner des Vereins Erinnerung und Mahnung Telgte e.V. freuen sich über die positive Resonanz auf die Ausstellung. Neben zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern, die die Gelegenheit nutzen, die Ausstellung in Eigenregie zu besichtigen, war auch das Interesse seitens weiterführender Schulen und Berufskollegs groß. Im gesamten Ausstellungszeitraum setzten sich allein im Rahmen von Führungen weit mehr als 100 junge Menschen mit den dargestellten Biografien auseinander – darunter ein Englischleistungskurs des Maria-Sibylla-Merian-Gymnasiums, Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Telgte sowie mehrere Klassen angehender Heilerziehungspflegerinnen und ‑pfleger des St. Vincenz-Berufskollegs Ahlen.
„Gerade jungen Leuten die Geschichten dieser zu Opfer gemachten Menschen nahe zu bringen ist uns ein besonderes Anliegen“, erläutert Frau Dr. Barbara Elkeles, Vorsitzende des Vereins Erinnerung und Mahnung Telgte e.V. „Wir möchten, dass Erinnern zu einem aktiven Gestalten der Gegenwart und Zukunft beiträgt.“
Auch vonseiten des Krankenhauses ist die Resonanz positiv. „Es ist uns eine Herzensangelegenheit, als Klinik diesen wichtigen Beitrag zur Erinnerungsarbeit zu leisten und Raum für eine fundierte Auseinandersetzung mit der Geschichte zu schaffen“, betont Daniel Freese, Geschäftsführer des St. Rochus-Hospitals. „Wir freuen uns auf zahlreiche weitere Besucherinnen und Besucher.“
Infokasten: Das Schicksal von Gladys Strauss
Gladys Rosie Iris Marx, geboren 1910 in London, wuchs nach der frühen Scheidung ihrer Eltern in Berlin auf. Dort heiratete sie mit nur 22 Jahren den deutlich älteren Kaufmann Fritz Strauss. Die Repressalien des NS-Regimes trafen das Ehepaar schon 1933. 1935 erkrankte Gladys an Schizophrenie. Ihre Erkrankung verschlimmerte sich so, dass sie in mehreren Anstalten behandelt wurde – zuletzt seit Mai 1938 im St. Rochus-Hospital in Telgte. Schließlich musste sie auf Anordnung des Reichsinnenministeriums im September 1940 nach Wunstorf verlegt werden. Von dort wurde sie einige Tage später in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel deportiert. Am 29. September 1940 wurde sie dort mit Kohlenmonoxid ermordet, kurz vor ihrem 30. Geburtstag.
Ihr Schicksal verdeutlicht, wie eng die Verbrechen der NS-Zeit mit Orten verbunden sind, die heute als Heilungs- und Schutzräume gelten. „Finding Ivy. Ein lebenswertes Leben“ erinnert an Gladys Strauss und weitere Opfer, deren Leben im Zeichen einer menschenverachtenden Ideologie für „unwert“ erklärt wurde – und regt dazu an, Verantwortung für die Schwächsten in unserer Gesellschaft zu übernehmen.