Das 19. Jahrhundert begann mit gewaltigen Umbrüchen und neuen politischen Konstellationen. Bis 1815 wechselte die politische Zugehörigkeit Telgtes viermal: Fürstbistum Münster, Preußen, Frankreich und wieder Preußen.
Unter der französischen Herrschaft erhielten die Juden die volle bürgerliche Gleichberechtigung. Der Bürgermeister Schulz urteilte 1818 in einem Bericht an die preußische Behörde, dass die Juden trotz der bürgerlichen Freiheiten die »alten Juden geblieben sind« und sich nicht »nationalisieren«. Von den 12 Familien seien 10 Viehhändler, Metzger oder Kaufleute, die »nebenher ihren Schacher treiben«.
Die Gemeinde wuchs nach und nach und erreichte 1842 mit 87 Personen ihren höchsten Stand und lag damit im Münsterland mit einem Bevölkerungsanteil von ca. 3,5 % an der Spitze aller Gemeinden. Gegen Ende des Jahrhunderts nahm diese Zahl stetig ab. 1875 wurde eine neue größere Synagoge mit Schule gebaut. Diese konnte aber nur rund 10 Jahre von der jüdischen Gemeinde finanziert werden.
Antisemitische Hetze
Die gegen Ende des Jahrhunderts aufkommende antisemitische Hetze machte auch vor Telgte nicht halt. Die Hetzschrift »Der Talmud-Jude« des Münsteraner Theologen August Rohling (1872) vergiftete das Klima zwischen Juden und Christen.
Amtmann Schirmer und Pfarrer Neuwöhner baten 1892 in einem Aufruf alle Telgter, durch ihre Unterschrift zu erklären, dass sie die Versammlung mit dem Antisemiten Dr. König aus Witten zur »Judenfrage« boykottieren sollten.
»Unterzeichnete erklären hiermit durch Namensunterschrift, dass sie die beabsichtigte Erörterung der Judenfrage in unserer Gemeinde und den angekündigten Vortrag des Dr. König aus Witten nicht alleine für unnütz sondern für Frieden störend und aufreizend zu Reibereien und Unfrieden halten. Jeder Frieden liebende Bürger wird deshalb ersucht, die Versammlung zu vermeiden.«
Der Amtsdiener Heinrich Sauerland ging mit diesem Schreiben von Haus zu Haus und bat um die Unterschrift. 173 Unterschriften kamen zusammen; das war etwa ein Drittel der Telgter Haushalte. Das ist die erste Bürgerbefragung zu einem aktuellen gesellschaftlichen Problem, das in Telgte dokumentiert ist.
Der 1892 gegründete »Antisemitenverein« blieb ohne Erfolg, weil Kirche und Politik gemeinsam mit der Mehrheit der Bürger dagegen opponierten.