Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, Kontakt mit Überlebenden

Kontakt mit Ilse Auerbach

1989, Ilse Auerbach

Ilse und ihre Schwester Margot waren die Töchter des Ehepaares Jenny und Hermann Auerbach, wohn­haft in der Bahnhofstraße (heu­te Atelier Akzente). Hermann und sei­ne Brüder Max und Moritz führ­ten das flo­rie­ren­de Unternehmen. Sie waren wie ihre Vorfahren Metzger und Viehhändler. Hermann war ein ange­se­he­ner, unbe­schol­te­ner Bürger, der im 1. Weltkrieg gekämpft hat­te und mehr­fach aus­ge­zeich­net wor­den war. Aber seit 1933 gin­gen die Geschäfte durch fort­lau­fend ein­schrän­ken­de und dis­kri­mi­nie­ren­de Erlasse und Verordnungen emp­find­lich zurück und die Hetze gegen Juden nahm immer mehr zu, so dass er für sei­ne Töchter kei­ne Zukunft mehr in Deutschland sah.

1989, Ilse Auerbach

1989, Ilse Auerbach, verh. Grunewald, mit ihrem Enkel vor dem Elternhaus, Bahnhofstraße

Vater Hermann gelang es, die nöti­gen Papiere und Bescheinigungen – und das waren nicht weni­ge – für die Auswanderung sei­ner bei­den Töchter Margot und Ilse zu beschaf­fen. Am 26. August 1938 reis­te Ilse in die USA und Schwester Margot nach England, wo sie ein Jahr blieb, um dann eben­falls nach New York zu rei­sen. Über die Ereignisse in Telgte waren sie durch Briefe und Telegramme gut informiert.

Nach dem Schock der Pogromnacht und der zwangs­wei­sen Schließung der Firma am 30. November 1938 bean­trag­te Hermann auch die Ausreise für sich und sei­ne Frau. Aber es war zu spät. Alle Bemühungen schei­ter­ten. Die Eltern gerie­ten in das Räderwerk der Vernichtung und wur­den im Warschauer Ghetto ermordet.

Die Anfangsjahre in Amerika waren geprägt von der Sorge um das Schicksal der Eltern und den Anstrengungen, sich mit ihrem Mann eine Existenz auf­zu­bau­en. Ihre Schwester Margot zog in ihre Nähe. Sie hei­ra­te­te und hat­te eine Tochter namens Vicky. Margot ver­starb uner­war­tet an den Folgen einer Operation im Jahre 1958.

(v. l.) Ludwig Rüter, Ilse Grunewald (Tochter von Hermann Auerbach), Hilde Auerbach, Julie Groneck (Töchter von Max Auerbach)

Über 50 Jahre spä­ter (1989) setz­te Ilse Grunewald, geb. Auerbach, zum ers­ten Mal wie­der ihren Fuß auf Telgter Boden. Wie war es dazu gekom­men? Der Cousin Alfred Auerbach hat­te ihr das Buch »Geschichte und Schicksal der Telgter Juden« zuge­schickt, nach­dem die­ser bei einem sei­ner Besuche in Telgte zufäl­lig erfah­ren hat­te, dass Ilse im US-Bundesstaat Georgia wohn­te. Er reis­te zu ihr. Es war ein bewe­gen­des Wiedersehen. Auch von ihrer Cousine Julie Groneck, Tochter von Max Auerbach, hat­te sie jahr­zehn­te­lang nichts gehört. Und auch das Wiedersehen mit Julie konn­te in Telgte schließ­lich statt­fin­den. So schloss sich nach vie­len Irrwegen so man­cher Beziehungskreis von Neuem, und ver­lo­ren geglaub­te Angehörige tra­fen sich nach lan­ger Zeit wieder.

Ilse Grunewald 1989 zu Besuch in Telgte

1989: Nach dem Besuch der Ausstellung im Rathaus
(v. l.) Ilse Grunewald, Walter Grunewald, Schwiegertochter, Julie Groneck, 3 Enkelkinder (Elliot, Aaron, Leah), Werner Groneck, Mark Grunewald, Hilde Auerbach, Margaretha Rüter

Sehr schmerz­lich muss es für Ilse gewe­sen sein, durch die Straßen ihrer Kindheit und Jugend zu gehen. Welche Bilder und Erinnerungen gin­gen ihr durch den Kopf? Sie war 23 Jahre, als sie Telgte ver­ließ und kehr­te als 74-Jährige mit ihrer Familie – Mann, Sohn, Schwiegertochter und drei Enkelkindern – in ihre Heimatstadt zurück.

Sie besuch­te zuerst den jüdi­schen Friedhof, auf dem zwei Gräber von Familienangehörigen zu fin­den sind: das Grab ihrer Schwester Leni, gestor­ben 1932, und das ihres Onkels Moritz, gestor­ben 1936.
Im Rathaus sah sie die Ausstellung zur Geschichte der Juden in Telgte. »Ich habe hier viel Schlechtes erlebt«, mein­te sie. »Ich kann nicht gut dar­über spre­chen, aber es wird all­mäh­lich leich­ter, als es in der Vergangenheit für mich war.« Sie lob­te die Idee, eine Initiative zu grün­den für die Errichtung eines Gedenksteines mit den Namen aller Begrabenen und Ermordeten auf dem Friedhof, und sie war dank­bar dafür, dass »die furcht­ba­ren Leiden der Juden an das Tageslicht gekom­men sind.«