Die Behörden untersagten das Abfahren des Sandes und boten der Gemeinde gut 100 m weiter einen neuen Platz am Hagen an. Wie man mit dem alten Platz verfahren ist, verschweigen die Quellen. Er ist verschwunden und Baugelände geworden.
Seit ca. 1820 wurden die Toten dort bestattet. Zum Hagen hin schirmte ihn eine mannshohe Mauer ab, und an den Seiten verwehrte eine hohe Hecke den Blick.
Dieser Friedhof diente der Gemeinde fast 100 Jahre als Begräbnisstätte für ihre Toten. Rechts und links eines Mittelweges lagen ca. 35 Gräber.
Die letzten Bestattungen waren:
1932 Leni Auerbach
1934 Jakob Auerbach
1935 Max Auerbach
1936 Moritz Auerbach
1938 Gerson Jacobs (Schwiegervater von Siegfried Mildenberg)
Zwei alte Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert
mit ihren Innenschriften
Neue Übersetzung aus dem Hebräischen:
Hier ruht
die aufrechte und gepriesene „starke
Frau“ (vgl. Spr. 31,10), Zierde ihres Mannes und Zierde
ihrer Söhne. Sie tat Gutes all ihre Tage.
Die (verehrte?) Frau Perle – ihr Andenken (sei gesegnet?)
geboren am zehnten im Tevet 606
und gestorben am sieben und zwanzigsten im Kislew 666
[nach kleiner Zählung]
Ihre Seele sei eingebunden [in das Bündel des Lebens]
(Transkription und Übersetzung: Prof. Dr. Marie-Theres Wacker)
Neue Übersetzung aus dem Hebräischen:
Hier ruht
ein Mädchen, Jungfrau, züchtig
und lieblich. Sie fand Gefallen in den Augen
aller, die sie sahen (vgl. Est 2,15!). Und sie kam nicht
bis zur Hälfte ihrer Tage. Und ihr Name (ist) Mathilde,
Tochter des David. Sie verschied am Tag
30 im Nisan 666 nach kleiner Zählung
Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.
(Transkription und Übersetzung: Prof. Dr. Marie-Theres Wacker)
Zwei Grabsteine vom jüdischen Friedhof Telgte mit hebräischer Inschrift
Neue Transkription und Übersetzung
Im Stadtarchiv Telgte befinden sich zwei Abbildungen jüdischer Grabsteine aus Telgte mit hebräischer Inschrift. Leider sind nur Diapositive erhalten, nicht die originalen Fotografien. Diese Grabsteine waren seit einiger Zeit auf der Internetseite unseres Vereins abgebildet. Dadurch wurde Marie-Theres Wacker, emeritierte Professorin für Altes Testament und Theologische Frauenforschung an der Katholischen-Theologischen Fakultät der Universität Münster und Erste Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Jüdischen Friedhofs Einsteinstr. Münster e.V., auf sie aufmerksam.
Sie erbot sich, eine neue Transkription und Übersetzung der Inschriften zu erstellen. Allerdings waren die Jahreszahlen nur sehr schwer lesbar, während beide Namen eindeutig erkennbar waren. Barbara Elkeles konnte sie schließlich zwei in Telgte gestorbenen Frauen zuordnen. Bei der Identifizierung der Person auf der Inschrift des zweiten Grabsteins half auch Gertrud Althoff mit, die zahlreiche Publikationen zur jüdischen Geschichte des Münsterlands verfasst hat. Die folgenden Neuübersetzungen und biographischen Notizen entstanden also durch die äußerst konstruktive und völlig unkomplizierte Zusammenarbeit dreier Forscherinnen.
Die Grabsteine sind deutlich jünger, als bisher vermutet: Die Frauen verstarben 1905 bzw. 1906. Beide gehörten zu der in Telgte seit 1760 ansässigen Familie Auerbach. Auffällig ist, dass die Grabmale Anfang des 19. Jahrhunderts noch ganz in der hebräischen Tradition gestaltet wurden. Offenbar handelte es sich um eine sehr traditionelle Familie. Ob (wie anzunehmen ist) auf der Rückseite der Steine ein deutschsprachiger Text stand, kann nicht mehr rekonstruiert werden, da Fotos fehlen.
Der Name ist auf diesem Grabstein gut erkennbar, das Sterbedatum dagegen mehrdeutig. Da nur eine jüdische Frau namens Mathilde in Telgte verstorben ist, konnte der Stein Mathilde Auerbach zugeordnet werden. Sie war das älteste von sieben Kindern aus der Ehe von David Auerbauch und Hebe (Lena) Lohn. Geboren wurde sie am 13. Mai 1869 in Telgte. Damit war sie neun Jahre älter als ihr jüngster Bruder Hermann. Sie blieb ledig. Bei ihrem Tod im Alter von 37 Jahren („der Hälfte ihrer Tage“) lebte sie im Haus Bahnhofstrasse 14, das später ihr Bruder Hermann mit seiner Familie bewohnte. Ihren Tod zeigte ihr Onkel Mendel Auerbach an, der im Stammhaus der Familie Auerbach in der Steinstraße 4 lebte.
Ihr Todestag, der 25. April 1906, entspricht dem auf dem Grabstein angegebenen Datum: dem 30. Nisan 666 nach kleiner Zählung (=5666 seit Erschaffung der Welt).
Die Zuordnung des zweiten Grabsteins war schwieriger. Der Name Perle war klar zu lesen, die Worte danach waren aber zunächst rätselhaft. Den traditionellen Frauenname „Perle“ (deutsche Übersetzung des biblischen Namens Peninna, 1. Sam 1) trugen in Telgte nur zwei Frauen. Beide stammten aus der Familie Jordan. Da sie nicht in Telgte gestorben sind, schieden sie aus. Statt des biblischen Namens wurde im 19. Jahrhundert jedoch häufig ein ähnlich klingender bürgerlich-deutscher Name ausgewählt, in diesem Fall „Pauline“. Und hier wurden die Forscherinnen fündig. Der Grabstein wurde für Pauline Auerbach, geb. Elsbach, gesetzt. Sie wurde am 8. Januar 1846 in Erwitte als Tochter von Jacob Elsbach und Bella Löwenstein geboren. Am 11. Dezember 1872 heiratete sie in ihrem Heimatort Mendel Auerbach aus Telgte, den dritten Sohn von Jacob Auerbach aus Telgte und Berta Salomon aus Gladbach. Die Familie lebte im Stammhaus der Familie in der Steinstraße 4. Das Ehepaar hatte elf Kinder, von denen drei sehr früh starben.
Mithilfe der Lebensdaten von Pauline Auerbach konnte die Inschrift entschlüsselt werden: Der 10. Tevet 606 entspricht ihrem Geburtstag am 8. Januar 1846, der 27. Kislew 666 ihrem Sterbedatum, dem 25. Dezember 1905. Die Zahlen wurden nicht abgekürzt, sondern in Worten ausgeschrieben, und die vorletzte Zeile mit dem Sterbejahr und v.a. die letzte Zeile mit dem Segensspruch wurden wohl nicht mehr gut eingraviert. Sie sind daher nur noch schattenhaft auf dem Foto zu erkennen. Vielleicht hatte der Steinmetz den Platz schlecht kalkuliert.
© Marie-Theres Wacker, Barbara Elkeles