Jüdische Friedhöfe Telgte

1820 Friedhof am Hagen

Jüdischer Friedhof am Hagen, Telgte

Die Behörden unter­sag­ten das Abfahren des Sandes und boten der Gemeinde gut 100 m wei­ter einen neu­en Platz am Hagen an. Wie man mit dem alten Platz ver­fah­ren ist, ver­schwei­gen die Quellen. Er ist ver­schwun­den und Baugelände geworden.

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Jüdischer Friedhof Telgte, vor der Zerstörung 1942

Jüdischer Friedhof in Telgte vor der Zerstörung 1942 (Stadtarchiv Telgte)

Seit ca. 1820 wur­den die Toten dort bestat­tet. Zum Hagen hin schirm­te ihn eine manns­ho­he Mauer ab, und an den Seiten ver­wehr­te eine hohe Hecke den Blick.

Dieser Friedhof dien­te der Gemeinde fast 100 Jahre als Begräbnisstätte für ihre Toten. Rechts und links eines Mittelweges lagen ca. 35 Gräber.

Die letz­ten Bestattungen waren:
1932 Leni Auerbach
1934 Jakob Auerbach
1935 Max Auerbach
1936 Moritz Auerbach
1938 Gerson Jacobs (Schwiegervater von Siegfried Mildenberg)

 


Zwei alte Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert
mit ihren Innenschriften

 

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(Stadtarchiv Telgte)

Neue Übersetzung aus dem Hebräischen:
Hier ruht
die auf­rech­te und geprie­se­ne „star­ke
Frau“ (vgl. Spr. 31,10), Zierde ihres Mannes und Zierde
ihrer Söhne. Sie tat Gutes all ihre Tage.
Die (ver­ehr­te?) Frau Perle – ihr Andenken (sei geseg­net?)
gebo­ren am zehn­ten im Tevet 606
und gestor­ben am sie­ben und zwan­zigs­ten im Kislew 666
[nach klei­ner Zählung]
Ihre Seele sei ein­ge­bun­den [in das Bündel des Lebens]
(Transkription und Übersetzung: Prof. Dr. Marie-Theres Wacker)

 

Jüdischer Friedhof Telgte, Grabstein von 1826

(Stadtarchiv Telgte)

Neue Übersetzung aus dem Hebräischen:
Hier ruht
ein Mädchen, Jungfrau, züch­tig
und lieb­lich. Sie fand Gefallen in den Augen
aller, die sie sahen (vgl. Est 2,15!). Und sie kam nicht
bis zur Hälfte ihrer Tage. Und ihr Name (ist) Mathilde,
Tochter des David. Sie ver­schied am Tag
30 im Nisan 666 nach klei­ner Zählung
Ihre Seele sei ein­ge­bun­den in das Bündel des Lebens.
(Transkription und Übersetzung: Prof. Dr. Marie-Theres Wacker)


 

Zwei Grabsteine vom jüdischen Friedhof Telgte mit hebräischer Inschrift
Neue Transkription und Übersetzung

Im Stadtarchiv Telgte befin­den sich zwei Abbildungen jüdi­scher Grabsteine aus Telgte mit hebräi­scher Inschrift. Leider sind nur Diapositive erhal­ten, nicht die ori­gi­na­len Fotografien. Diese Grabsteine waren seit eini­ger Zeit auf der Internetseite unse­res Vereins abge­bil­det. Dadurch wur­de Marie-Theres Wacker, eme­ri­tier­te Professorin für Altes Testament und Theologische Frauenforschung an der Katholischen-Theologischen Fakultät der Universität Münster und Erste Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Jüdischen Friedhofs Einsteinstr. Münster e.V., auf sie auf­merk­sam.
Sie erbot sich, eine neue Transkription und Übersetzung der Inschriften zu erstel­len. Allerdings waren die Jahreszahlen nur sehr schwer les­bar, wäh­rend bei­de Namen ein­deu­tig erkenn­bar waren. Barbara Elkeles konn­te sie schließ­lich zwei in Telgte gestor­be­nen Frauen zuord­nen. Bei der Identifizierung der Person auf der Inschrift des zwei­ten Grabsteins half auch Gertrud Althoff mit, die zahl­rei­che Publikationen zur jüdi­schen Geschichte des Münsterlands ver­fasst hat. Die fol­gen­den Neuübersetzungen und bio­gra­phi­schen Notizen ent­stan­den also durch die äußerst kon­struk­ti­ve und völ­lig unkom­pli­zier­te Zusammenarbeit drei­er Forscherinnen.

Gertrud Althoff, Prof. Dr. Marie-Theres Wacker, Dr. Barbara Elkeles (Foto: Peter Leßmann)


Die Grabsteine sind deut­lich jün­ger, als bis­her ver­mu­tet: Die Frauen ver­star­ben 1905 bzw. 1906. Beide gehör­ten zu der in Telgte seit 1760 ansäs­si­gen Familie Auerbach. Auffällig ist, dass die Grabmale Anfang des 19. Jahrhunderts noch ganz in der hebräi­schen Tradition gestal­tet wur­den. Offenbar han­del­te es sich um eine sehr tra­di­tio­nel­le Familie. Ob (wie anzu­neh­men ist) auf der Rückseite der Steine ein deutsch­spra­chi­ger Text stand, kann nicht mehr rekon­stru­iert wer­den, da Fotos fehlen.

Der Name ist auf die­sem Grabstein gut erkenn­bar, das Sterbedatum dage­gen mehr­deu­tig. Da nur eine jüdi­sche Frau namens Mathilde in Telgte ver­stor­ben ist, konn­te der Stein Mathilde Auerbach zuge­ord­net wer­den. Sie war das ältes­te von sie­ben Kindern aus der Ehe von David Auerbauch und Hebe (Lena) Lohn. Geboren wur­de sie am 13. Mai 1869 in Telgte. Damit war sie neun Jahre älter als ihr jüngs­ter Bruder Hermann. Sie blieb ledig. Bei ihrem Tod im Alter von 37 Jahren („der Hälfte ihrer Tage“) leb­te sie im Haus Bahnhofstrasse 14, das spä­ter ihr Bruder Hermann mit sei­ner Familie bewohn­te. Ihren Tod zeig­te ihr Onkel Mendel Auerbach an, der im Stammhaus der Familie Auerbach in der Steinstraße 4 leb­te.
Ihr Todestag, der 25. April 1906, ent­spricht dem auf dem Grabstein ange­ge­be­nen Datum: dem 30. Nisan 666 nach klei­ner Zählung (=5666 seit Erschaffung der Welt).

Die Zuordnung des zwei­ten Grabsteins war schwie­ri­ger. Der Name Perle war klar zu lesen, die Worte danach waren aber zunächst rät­sel­haft. Den tra­di­tio­nel­len Frauenname „Perle“ (deut­sche Übersetzung des bibli­schen Namens Peninna, 1. Sam 1) tru­gen in Telgte nur zwei Frauen. Beide stamm­ten aus der Familie Jordan. Da sie nicht in Telgte gestor­ben sind, schie­den sie aus. Statt des bibli­schen Namens wur­de im 19. Jahrhundert jedoch häu­fig ein ähn­lich klin­gen­der bür­ger­lich-deut­scher Name aus­ge­wählt, in die­sem Fall „Pauline“. Und hier wur­den die Forscherinnen fün­dig. Der Grabstein wur­de für Pauline Auerbach, geb. Elsbach, gesetzt. Sie wur­de am 8. Januar 1846 in Erwitte als Tochter von Jacob Elsbach und Bella Löwenstein gebo­ren. Am 11. Dezember 1872 hei­ra­te­te sie in ihrem Heimatort Mendel Auerbach aus Telgte, den drit­ten Sohn von Jacob Auerbach aus Telgte und Berta Salomon aus Gladbach. Die Familie leb­te im Stammhaus der Familie in der Steinstraße 4. Das Ehepaar hat­te elf Kinder, von denen drei sehr früh star­ben.
Mithilfe der Lebensdaten von Pauline Auerbach konn­te die Inschrift ent­schlüs­selt wer­den: Der 10. Tevet 606 ent­spricht ihrem Geburtstag am 8. Januar 1846, der 27. Kislew 666 ihrem Sterbedatum, dem 25. Dezember 1905. Die Zahlen wur­den nicht abge­kürzt, son­dern in Worten aus­ge­schrie­ben, und die vor­letz­te Zeile mit dem Sterbejahr und v.a. die letz­te Zeile mit dem Segensspruch wur­den wohl nicht mehr gut ein­gra­viert. Sie sind daher nur noch schat­ten­haft auf dem Foto zu erken­nen. Vielleicht hat­te der Steinmetz den Platz schlecht kal­ku­liert.
© Marie-Theres Wacker, Barbara Elkeles