Vortrag „Religiöse Minderheit und Mehrheitsgesellschaft ‑Jüdisch-christliche Ehen in Telgte 1850–1950“
Der Verein „Erinnerung und Mahnung Telgte“ lädt anlässlich des 83. Gedenktages der reichsweiten Novemberpogrome zu einer Vortragsveranstaltung ein.
Referentin: Barbara Elkeles
Termin: Mi, 10.11.2021, 19:00 Uhr
Ort: Pfarrheim St. Clemens, Kardinal-von-Galen-Platz 13, Telgte
Bevor im Jahr 1875 die Zivilehe im Deutschen Reich eingeführt wurde, waren Ehen zwischen Christen und Juden – vor allem im ländlichen westfälischen Raum – seltene Ereignisse, denen fast immer die Konversion des jüdischen Partners vorausging. Ehen, in denen beide Partner ihre Religionszugehörigkeit behielten, blieben absolute Einzelfälle. Überraschenderweise konnte in zwei alteingesessenen jüdischen Familien aus Telgte für beide Möglichkeiten ein Beispiel gefunden werden: Eine Heirat im Jahr 1852, der die Konversion der jüdischen Frau zum Katholizismus vorausging sowie eine im Jahr 1870 im Ausland geschlossene Ehe, in der beide Partner ihre Religionszugehörigkeit behielten. Diese Familie lebte später in Lippstadt. In dem Vortrag werden die Schicksale beider Familien über mehrere Generationen verfolgt und die Reaktionen ihrer jüdischen wie christlichen Umwelt aufgezeigt. Ergänzend wird punktuell das Schicksal einiger weiterer jüdisch-christlicher Familien, die aus Telgte stammten oder in Telgte lebten, während der NS-Zeit dargestellt.
Priv.-Doz. Dr. med. Barbara Elkeles
Vorsitzende „Erinnerung und Mahnung Telgte“
Pressebericht zu dieser Veranstaltung:
Der Verein „Erinnerung und Mahnung Telgte“ lud am 10.11.2021 zu einer Veranstaltung anläßlich des 83. Gedenktages der reichsweiten Novemberpogrome ins Pfarrheim St. Clemens ein. Die Vorsitzende, Dr. Barbara Elkeles, berichtete vor einem sehr interessierten Publikum über ihre aktuellen Forschungen zu jüdisch-christlichen Mischehen zwischen 1850 und 1950. Anhand der Geschichte zweier Telgter Familien zeigte sie, dass es in seltenen Fällen Eheschließungen über die Grenzen von Religionszugehörigkeit und soziale Gruppe hinaus gab. Dies konnte zum Bruch mit dem jüdischen Elternhaus führen, allerdings existiert auch ein Beispiel für ein gelungeneres Zusammenleben.
Außerdem ging sie auf das Schicksal christlich-jüdischer Familien in der NS-Zeit ein. Im Rahmen der Novemberpogrome wurden auch jüdische Mitbürger, die in Mischehen lebten, verhaftet. Das galt auch für Julius Auerbach aus Telgte, der nach seiner Freilassung nach Belgien und Frankreich floh. Dort wurde er erneut inhaftiert, ins Lager Drancy verschleppt und von dort aus nach Auschwitz deportiert, wo er umkam.
Auch die nichtjüdischen Ehepartner in Mischehen und die aus den Ehen hervorgegangenen Kinder wurden als „Jüdisch Versippte“ bzw. sogenannte „Mischlinge“ verfolgt. Vor allem am Beispiel der 1936 nach Telgte zugezogenen Familie Mundinger, in der die Ehefrau jüdischer Herkunft war, lässt sich zeigen, dass die Kinder erhebliche Einschränkungen bzgl. ihrer Bildungsmöglichkeiten erfuhren. Die Familie war immer wieder von Denunziationen und Strafverfolgung bedroht und musste seit Ende 1944 Zwangsarbeit verrichten musste. Erst kurz vor Kriegsende konnten die Familienmitglieder bei Bauernfamilien in Delbrück untertauchen.