In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts genügte das alte Gebäude den Ansprüchen der Gemeinde nicht mehr. Es war zu klein, zunehmend baufällig und nur schwer zugänglich. Jakob Auerbach als Synagogenvorsteher schlug in einem Brief an die Gemeindemitglieder im Jahre 1866 vor, „zur Ehre Gottes und zum Wohle der Gemeinde eine neue Synagoge zu bauen, für nachkommende Generationen Zeugnis ablegend, dass Brudersinn und tätige Bruderliebe eine Wahrheit in Israel sind.“ Finanziert wurde der Neubau durch einen Fonds aus dem Verkauf des alten Schulhauses und der alten Synagoge aber auch durch einen Spendenaufruf bei den Juden der Provinz Westfalen.
Es handelte sich um einen Backsteinbau mit einem rechteckigen Grundriss mit ca. 73 m² Grundfläche. Mit seiner durch Säulen, Rundfenster und Gesimsbänder geschmückten Giebelfront und einem von einem Davidstern bekrönten Türmchen wirkte der Bau funktional schlicht aber durchaus repräsentativ. Auf maurische Stilelemente hatte man dagegen, wie bei den meisten Landsynagogen des späten 19. Jahrhunderts, verzichtet. Der Betsaal war weiß gekalkt, Buntglasfenster und ein Kristallleuchter verliehen dem Raum einen festlichen Charakter. Der Türsturz trug die hebräische Inschrift: „Mein Haus ist ein Bethaus für alle Völker.“ Das Gebäude beherbergte außerdem die jüdische Schule und eine Lehrerwohnung.
Die neue Synagoge wurde am 5. September 1875 feierlich ihrer Bestimmung übergeben. Für die religiöse Zeremonie hatte man einen der bekanntesten Prediger des Reformjudentums, Salomon Blumenau aus Bielefeld, gewonnen. An den Feierlichkeiten nahmen trotz Widerstands seitens der Geistlichen der Landrat, der Bürgermeister und der Magistrat sowie die Stadtverordneten und zahlreiche Bürger teil.
Das Gebäude wurde während der Novemberprogrome komplett zerstört und gebrandschatzt. Überliefert sind nur die Grundrisszeichnungen sowie einige Abbildungen, auf denen das Türmchen mit dem Davidstern erkennbar ist.
Etwas versteckt zwischen zwei Grundstücken steht in Telgte inmitten der Historischen Altstadt mit der Alten Synagoge ein einzigartiges kulturgeschichtliches Zeugnis, eine von ganz wenigen noch erhaltenen ehemaligen Hof-Synagogen Westfalens.
Innerstädtisches Wirtschaftsgebäude Unmittelbar nach dem Stadtbrand von 1499 entstand in einem von Marktplatz, Ems- und Steinstraße gesäumten Baublock auf einer Grundfläche von etwa 24 m² ein zweigeschossiger Speicher mit hoch aufragendem Satteldach. Das kleine Fachwerkgebäude zählt zu einem Gebäudetypus, der heute in historischen Stadtkernen Westfalens kaum noch zu finden ist.
Vom Speicher zur Snagoge Seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nutzten die in Telgte ansässigen jüdischen Familien den kleinen Speicher, der heute als Alte Synagoge bezeichnet wird, für den Gottesdienst. Für die Umnutzung des Gebäudes sprachen zum einen die Eigentumsverhältnisse, denn ringsum befanden sich mehrere Häuser in jüdischem Besitz, zum anderen auch die versteckte Lage, da der Gottesdienst nach den Bestimmungen der fürstbischöflichen Judenordnung von 1662 nur im Verborgenen stattfinden durfte.
Die notwendigen baulichen Veränderungen nahm man mit einfachsten Mitteln vor: Das Gebäude wurde in der bestehenden Konstruktionsform um etwa drei Meter verlängert und verfügte nun über eine Grundfläche von ca. 38 m²; die Zwischendecke wurde entfernt, der neu geschaffene Gebetsraum erhielt ein flaches hölzernes Tonnengewölbe und eine Frauenempore mit separatem Eingang. Der Thoraschrein fand in einer nach außen gestülpten Nische Platz, das Lesepult (Bima) im Zentrum des durch vier große Fenster belichteten und mit einer einheitlichen Farbfassung versehen Raumes. Heute ist dieser in seinen wesentlichen Bestandteilen überlieferte Bau die älteste im Inneren noch räumlich erfahrbare Synagoge Westfalens.
Vom Schlachthaus zum Abstellraum Der kleine Bau diente bis zur Eröffnung der neuen, nun öffentlich sichtbaren Synagoge an der Königstraße im Jahr 1875 als Gebets- und Versammlungsraum. Der ehemalige Speicher blieb in jüdischem Besitz und wurde fortan als koscheres Schlachthaus genutzt. Der Bau wurde während der Novemberprogrome 1938 nicht zerstört. Ende November 1939 musste der letzte jüdische Besitzer Jakob Auerbach seinen gesamten Grund- und Hausbesitz aufgeben. Das Gebäude wurde fortan als Abstellraum genutzt und verfiel zunehmend. Das schadhafte Satteldach war 1965 gegen ein einfaches Pultdach ersetzt und eine neue Zwischendecke eingebaut worden.
Wiederentdeckung, Konservierung und Restaurierung Als sich Anfang der 1980er-Jahre Schüler der örtlichen Realschule mit der Geschichte der jüdischen Bevölkerung Telgtes zwischen 1933 und 1945 befassten, rückte auch die Alte Synagoge ins Blickfeld der Öffentlichkeit und das Gebäude wurde 1992 in die städtische Denkmalliste aufgenommen. Es sollten jedoch noch drei Jahrzehnte vergehen, bis mit der Instandsetzung des mittlerweile in vielen Bereichen gefährdeten Baus begonnen wurde. Mit Unterstützung des Bundes, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, des Kreises Warendorf, der Stadt Telgte und des LWL hat die heutige Eigentümerin in den Jahren 2022 und 2023 behutsame Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten durchführen lassen. Hierbei wurden die verschiedenen Bauphasen respektiert, sodass die Veränderungsgeschichte vom Speicher bis zum Abstellraum ablesbar bleibt. Gleichwohl konnte die Zeitschicht „Synagoge“ anschaulicher gemacht werden.
Der Text entstammt (mit geringfügigen Änderungen) einer Vorlage von Dr. Christian Steinmeier.